Arbeit lohnt sich nicht mehr?
Die aktuelle Einlassung der Vorsitzenden von CDU und CSU zum Bürgergeld zeigen zunächst, dass der sozialpolitische Ansatz der Grundsicherung bzw. Sozialhilfe von zwei völlig unterschiedlichen Enden gedacht wird – je nach politischer Ausrichtung. Werfen die beiden also ein, dass die Distanz zwischen Arbeitenden und Menschen in der Grundsicherung bzw. Sozialhilfe nicht groß genug wäre um die Arbeitenden zur Weiterarbeit zu motivieren, offenbart sich hier ein negatives und zu simpel gedachtes Menschenbild.
In der Coronapandemie hat sich doch offenbart, wer „den Laden am Laufen hält“. Das sind sehr häufig Personen, die im Niedriglohnsektor arbeiten – oder knapp darüber. Die aus Pflichtbewusstsein weitermachen, obwohl der finanzielle Anreiz der Arbeit bereits jetzt nicht sonderlich hoch ist. Nun die Angst zu schüren, mehr Menschen würden sich durch die drei großen Maßnahmen des Bürgergeldes – Erhöhung des Satzes, Abschaffung von Sanktionen und Erhöhung des Schonvermögens – von der Erwerbsarbeit abwenden, offenbart eben auch, wie die beiden Vorsitzenden Menschen gegeneinander ausspielen.
Denn denkt man das Problem von der anderen Seite, dann gäbe es eine andere logische Konsequenz: nicht der Betrag, der Menschen in der Grundsicherung bzw. Sozialhilfe ein Existenzminimum sichert, müsste sinken oder dürfte nicht gesteigert werden. Die Menschen, die nicht in der Grundsicherung bzw. Sozialhilfe sind, müssten schlicht mehr verdienen.
So zeigen die Aussagen der beiden Vorsitzenden leider auch, was sie von Menschen in der Grundsicherung bzw. Sozialhilfe halten: es handelt sich um Menschen die keine Lust haben zu arbeiten – als wäre der Bezug von Grundsicherung oder Sozialhilfe immer eine Entscheidung für die „Nichtarbeit“!
Denn wie Ursula Weisenfels es so treffend analysiert: "nur einige wenige der derzeitigen Hartz-IV- und künftigen Bürgergeldempfängerinnen haben ein echtes Arbeitsmarktproblem, das nicht mit ein bisschen Druck und einer Weiterbildung zu lösen wäre. Das mag sich in den nächsten Jahren ändern, doch heute ist es so: Die meisten der Empfänger sind hingegen entweder zu krank oder zu alt zum Arbeiten, oder sie sind zu jung (weil sie Kinder sind und in der Statistik mitgezählt werden). Sie sind alleinerziehend, kümmern sich um Angehörige, viele wohnen am falschen Ort, einige haben ein Suchtproblem, manche können kaum drei Stunden am Tag auf einem Büro- oder Gabelstaplerstuhl sitzen. Ja, es gibt auch Faule. Aber die sind in der Minderheit. Nur ihnen würde mit Arbeitsmarktpolitik, Sanktionen, Fördern und Fordern geholfen“ (Ursula Weidenfeld, 08.11.2022) .
Nur eine Minderheit fällt also in die Kategorie von Menschen, die nicht arbeiten „wollen“. Dass dieser Anteil – wie von CDU/CSU prophezeit – mit den Maßnahmen steigen wird, offenbart ein pessimistisches Menschenbild. Auch hat sich während der Coronapandemie gezeigt, dass es schlicht nicht zutrifft. Mit ihrer Rhetorik fordern sie demnach die Menschen in der „Mittelschicht“ auf, ihre Solidarität mit den Menschen, die nicht arbeiten können, zu reduzieren. Perfide und unheimlich gefährlich, da Zündler am rechten Rand ebenso versuchen, die Gesellschaft zu spalten. Und die Spaltung - das Ausspielen von Gruppen – die Merz und Söder riskieren, ist „ganz arm“ gegen „arm“ gegen den großen Bereich der „Mitte“.
Solidarität und Gemeinsinn sind jedoch – bei aller Krisenmüdigkeit – das einzige, das die Gesellschaft zusammenhält. Und hier lässt sich eben auch die Solidarität derer vermissen, die in den wirtschaftlich guten Jahren kräftig verdient haben!
Insgesamt geht es nicht darum ob die Menschen „faul“ sind oder nicht, sondern darum, dass sie -zurecht - nicht mehr bereit sind, zu den bisherigen Konditionen zu arbeiten. Denn es wird deutlich: ihre Arbeit, ihr Engagement ist mehr wert!
Und das ökonomische Modell, das CDU/CSU als das einzig Wahre ansehen ist immer davon abhängig, dass Menschen so billig arbeiten, dass sie im Rahmen von Unternehmensgewinnen ein möglichst gering zu haltender Kostenfaktor sind. 𝗥𝗲𝘀𝗽𝗲𝗸𝘁 vor den Arbeitenden sieht anders aus.
𝗗𝗮𝘀 𝗩𝗲𝗿𝘀𝗽𝗿𝗲𝗰𝗵𝗲𝗻 𝗮𝗻 𝗮𝗹𝗹𝗲
𝗥𝗲𝘀𝗽𝗲𝗸𝘁 vor den Arbeitenden und ihrer (Lebens-)Leistung sollte demnach in der Debatte einen wesentlich größeren Stellenwert erhalten. Denn: das Bürgergeld ist nicht nur an diejenigen gerichtet, die bereits ohne Arbeit sind. Die Gründe, warum Menschen in der Grundsicherung/Sozialhilfe landen, sind vielfältig. Und die bevorstehenden Zeiten mit hoher Inflation, hohen Energiekosten und einem daraus resultierenden schwächeren Wirtschaftswachstum – bis hin zu einer möglichen Rezession – können auch dazu führen, dass Menschen ihre Arbeit verlieren, die sich aktuell in Lohn und Brot befinden, die vielleicht über Jahre und Jahrzehnte Vermögen angespart haben. Denen vielleicht sogar Eigentum gehört. Hartz IV war dabei immer das Damoklesschwert, welches über den Menschen in der Mittelschicht hing und auch von politischer- und Arbeitgeberseite genutzt wurde, um Zukunfts- und Abstiegsängste zu schüren.
Mit dem Bürgergeld wird das Schonvermögen erhöht, es muss für zwei Jahre nicht angetastet werden. Es ist damit der Schutz davor, dass durch eine Erwerbslosigkeit alles verloren geht, das mühsam aufgebaut wurde. Es ist das klare Signal: was ihr habt, habt ihr euch verdient. Und wir (die Gesellschaft!) sind euch dankbar für eure bisherige Leistung.
𝗔𝗹𝗹𝗲𝗻 Menschen die Angst vor einem Verlust, vor einem Abstieg zu nehmen, ist doch eigentlich die größte politische Leistung der letzten zwei Jahrzehnte! Damit fällt aber natürlich auch ein Druckmittel der Arbeitgeber weg. Dass sich CDU/CSU mit allen Mitteln dagegen wehren, ist vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die man als Bürgerin und Bürger in ihren Regierungsjahren
wirtschafts-, arbeitsmarkt- und finanzpolitisch gemacht hat, zwar konsequent. 𝗥𝗲𝘀𝗽𝗲𝗸𝘁 vor den Menschen, die arbeiten gehen, war hier aber schon immer Fehlanzeige.
Funktionierende Wirtschaftspolitik wurde dort am Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessen. Ob diejenigen, die das BIP erwirtschaften, an diesem Erfolg teilhaben, war zu keinem Zeitpunkt prioritär. Auch hier: kein 𝗥𝗲𝘀𝗽𝗲𝗸𝘁 davor, dass alle Arbeitenden im Rahmen ihrer Möglichkeiten zum gesamtgesellschaftlichen Erfolg beitragen. Bitter. Und gut, dass die Ampel diese Priorität höher ansetzt!
Die angekündigte Blockade der CDU-geführten Länder zementiert leider wieder einmal den Stillstand – und das in einer so wichtigen Zeit, bei einer so wichtigen Reform.
Danke für euer Interesse!
Paul Fabian