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Gegen den Fluglärm Berichterstattung NTz vom 26.7.23 in der Abendausgabe

Berichterstattung NTZ 26.7.23 am Abend

Fluglärm-Gegner machen mobil

Proteste, Brandbriefe und Mario Barth – die Bürgerinitiative „Vereint gegen Fluglärm“ geht in die Offensive.
Zur Versammlung am Dienstag kamen rund 200 Leute in die Gemeindehalle Hardt.

Matthäus Klemke
NT-HARDT. „Die Uhr tickt. Was wir bisher erleben, ist nur ein Kindergeburtstag im Vergleich zu dem, was noch kommt“ – mit deutlichen Worten machte Rolf Keck, Sprecher der Bürgerinitiative (BI) „Vereint gegen Fluglärm“, den Zuhörern den Ernst der Lage klar. Gekommen waren viele, um sich auf den neusten Stand im Kampf gegen die Abflugroute „Tedgo Neu“ am Stuttgarter Flughafen zu bringen. Die Gemeindehalle war um kurz vor 19 Uhr so voll, dass sogar zusätzliche Stühle in den Saal gebracht werden mussten.
Bereits im September 2021 hatte sich Widerstand gegen die Pläne einer neuen Abflugkurve, die unter anderem über Wolfschlugen, Oberensingen, Hardt und Aichtal verläuft, formiert. Argumente für Tedgo Neu, wie die Lärmentlastung anderer Kommunen, seien mittlerweile widerlegt worden, betonte die BI immer wieder. Gebracht hat es wenig, ebenso wie die 15000 Unterschriften, die man gesammelt hatte. Im Oktober 2022 gab die Fluglärmkommission mit nur einer Stimme Mehrheit eine Empfehlung für die neue Abflugkurve. Einer der Hauptkritikpunkte der BI: Noch während des Verfahrens wurde die Kommission mit Deizisau und Altbach um zwei stimmberechtigte Gemeinden erweitert. Nur so sei es möglich gewesen, die nötige Mehrheit für die neue Abflugkurve zu bekommen.
Seit Februar läuft der einjährige Probebetrieb der neuen Abflugroute, seit Februar nehmen die Beschwerden über Fluglärm massiv zu. Mit Hilfe des Internets können heute auch Laien den Flugraum überwachen. Das hat Hermann Wurster getan und seine Beobachtungen sorgfältig in einer Excel-Tabelle dokumentiert. Sein Ergebnis: In 150 Tagen Probebetrieb wurde die neue Flugroute 757 Mal geflogen. „In den warmen Monaten Mai und Juni, wenn man auch gerne mal draußen im Garten sitzt, erfolgte an 90 Prozent der Tage ein Abflug über „Tedgo Neu“, so Wurster. Nicht-offizielle Messungen von Privatpersonen hätten Werte von deutlich über 70 Dezibel ergeben, berichtete Rainer Joswig, Initiator des Lärmschutz-Teams Hardt. „Das ist so, als würde man neben einem Rasenmäher stehen.“
Auch aus dem Publikum heraus gab es zahlreiche Beschwerden und Erfahrungsberichte. „Es ist klar, dass es um grüne Wirtschaftsinteressen geht“, sagte ein Anwesender: „Aber was ist mit den Leuten, die in Hardt ein Haus gekauft haben, weil es hier keinen Fluglärm gab? Den Bürgern geht immens viel Geld verloren.“
„Wenn die Erhöhung der Kapazitäten am Flughafen kein Argument ist, welche Argumente gibt es dann überhaupt noch für die neue Abflugroute?“, wollte eine Frau wissen. Eine weitere Anwesende behauptete sogar, dass heimlich auch andere Flugrouten verändert wurden und es jetzt insgesamt lauter sei. „Ist die Zusammensetzung der Fluglärmkommission nicht illegal?“, fragte ein Mann. „Das ist nicht illegal, das ist Politik“, antwortete Rainer Joswig.
Mit Ende des Probebetriebs befürchten die lärmgeplagten Anwohner eine Dauerbeschallung. Statt zwei Flüge pro Stunde könnten es dann bis zu zwölf sein. „Alle fünf Minuten ein Flieger über unseren Dächern“, zeichnete Peter Stratmann den Anwesenden ein Horrorszenario. Um das zu verhindern, geht die BI nun in die Offensive. Man könne sich nicht darauf verlassen, dass die Klage der Gemeinden Aichtal, Denkendorf, Neuhausen, Nürtingen und Wolfschlugen erfolgreich sein wird. Ziel muss es sein, die Fluglärmkommission davon zu überzeugen, bei einer zweiten Abstimmung gegen die neue Flugroute zu votieren.
Habe es bislang eher unkoordinierte Aktionen Einzelner gegeben, möchte man nun „strukturierter vorgehen“, so Keck. Dazu hat man sich Verstärkung ins Boot geholt: Anke Fellmann, Kommunikationsexpertin und nach eigenen Aussagen erfahren im Kampf gegen vermeintliche Windmühlen. „Dieser Kampf wird kommunikativ entschieden“, so Fellmann. Auf sich aufmerksam zu machen sei der Schlüssel. „Wir müssen sichtbar werden“, sagte Fellmann. Das sei nur mit möglichst vielen Leute möglich. Zu diesem Zweck habe man 23000 Flugblätter drucken lassen, die nun verteilt werden. Auch eine neue Internetseite wurde eingerichtet. Regelmäßig und koordiniert sollen Protestbriefe an Ministerpräsident Winfried Kretschmann verschickt werden. Entscheidend werde die Präsenz in den sozialen Medien sein.
Auch der Auftritt in der Presse sei von Bedeutung, sagt Fellmann. Nicht jeder im Publikum war begeistert von der Idee. Eine Anwesende forderte gar eine Zensur der Presse. Berichte müssten von der BI abgesegnet werden, bevor sie veröffentlicht werden. Schließlich könnten Zeitung sonst schreiben, was sie wollen. Ein anderer Mann stimmte zu: „Mir gefällt nicht, was die schreiben.“ Auch Fellmann berichtete von negativen Erfahrungen mit Medien. Umso wichtiger sei es, die sozialen Medien wie Facebook zu bespielen. Dort gebe es mehr Freiheiten.
Hilfreich wäre auch die Unterstützung von Prominenten. Fellmann brachte den Namen Ricarda Lang ins Spiel. Die Grünen-Politikerin stammt schließlich aus Nürtingen. Der Vorschlag sorgte für Unruhe und Gelächter im Publikum, vereinzelt waren auch Beleidigungen betreffend Ricarda Langs Aussehen zu hören. Begeistert zeigte sich das Publikum hingegen von dem Vorschlag eines Anwesenden, den Komiker Mario Barth zu kontaktieren. Der könne in seiner Show aufdecken, wie die Zusammensetzung der Fluglärmkommission zustande kam. Eine andere Frau schlug vor, Entertainer Harald Schmidt um Hilfe zu bitten.
Neben Prominenten werden außerdem Privatkläger gesucht, die die Chance auf einen Sieg vor Gericht erhöhen sollen.
Bis November sollen hunderte von Leuten mobilisiert sein. Gemeinsam möchte man bei der nächsten Sitzung der Fluglärmkommission am 13. November in Altbach aufmarschieren. „Wir möchten gehört werden“, so Keck.

Dieser Beitrag wurde in der Gruppe Bürgerforum Altenriet veröffentlicht.