Nach 56 Jahren: Der «Kantonsbassist» tritt ab
Urs Flück (72) hat den Austritt aus der Harmonie Gerlafingen gegeben. Die Augen machen nicht mehr mit. In den Verein eingetreten war er 1965. Sage und schreibe 56 Jahre spielte Urs also in der Harmonie – eine stolze Leistung! Vielen Dank, Urs, und alles Gute!
Crossiety: Machst du gar keine Musik mehr und hast den Bass wirklich an den sprichwörtlichen Nagel gehängt?
Urs: Ja. Ich sehe es einfach nicht mehr. Ich habe schon Mühe, dich ganz klar zu sehen. Falls du den Bass der Harmonie gleich mitnehmen willst: der steht draussen im Koffer bereit – mit allem, was dazugehört: Mundstück, Leier, Trageriemen…
Dann sind die gesundheitlichen Probleme der Grund für deinen Rücktritt?
Das ist der Hauptgrund. Gerade jetzt findet die Probe für die Kirchenmusik statt. Es schmerzt mich sehr, dass ich das auch nicht mehr kann. Das passte mir noch, im Quintett zu spielen. In der Blaskapelle bin ich auch nicht mehr. Und bei der Berner Marschmusik, die ich wirklich sehr gerne hatte und die für mich in den letzten Jahren das Wichtigste war, mache ich auch nicht mehr mit. Sie glauben es mir zwar noch nicht, aber es geht nicht mehr.
Warum machen die Augen nicht mehr mit?
Wenn ich das wüsste. Nach der Operation haben sie mir in Luzern gesagt, mit dem rechten Auge sei alles gut. Aber warum links die Sehschärfe so stark zurückgegangen ist… (zuckt mit den Schultern)? Der letzte Spruch des Hornhautspezialisten war, ich dürfe dann nicht mehr ohne Brille Auto fahren. Und jetzt ist der weisse VW verkauft und ich fahre nur noch kurze Strecken am Tag. Der Hausarzt und der Kardiologe möchten auch gerne mehr wissen. Aber ich hange effektiv in der Luft, was mit den Augen los ist.
Dann lass uns lieber über die Musik reden. In welchem Alter hast du angefangen?
Etwa mit 10 oder 11 Jahren. Ich ging in Gerlafingen in die Musikschule und lernte Klarinette. Am Eidgenössischen in Aarau habe ich Klarinette gespielt. Bis einmal einer der B-Bassisten ausgefallen ist, da habe ich dann gewechselt. Auf der Klarinette war ich zu wenig schnell mit den Fingern.
Und wann kamst du in die Harmonie?
Jetzt muss ich den Musikerpass holen gehen… (steht vom Stubentisch auf und kommt später mit dem Pass zurück, den alle Musikantinnen und Musikanten besitzen, die in einem Verein spielen) … am 20. Mai 1965. Damals hatten wir noch die Jugendmusik, dort habe ich auch Klarinette gespielt.
Wie war es damals in der Harmonie?
Toll! Wir waren 60 oder 70 Nasen. Es hatte zwischen 15 und 20 Klarinetten. Dafür nur 1 Flöte – welch eine Wohltat (lacht)! Klarinette gespielt habe ich damals wegen den super Klarinettisten in den Bands von Glenn Miller, Benny Goodman, Hugo Strasser oder Max Greger. So zu spielen war mein Traum.
Anfang der 1970er Jahre habe ich dann angefangen, auf Tuba zu wechseln. Das Verrückteste, was ich geboten habe, war am Solothurner Kantonalen in Dornach. Wir starteten in der Höchstklasse. Da habe ich bei «Le Roi d’Ys» zuerst Tuba gespielt, im Andantino habe ich dann für ein paar Takte auf die Bassklarinette gewechselt, und danach wieder zurück auf die Tuba.
Im Anhang (ganz unten auf dieser Seite) hat es ein Foto von dir, das an diesem Musikfest in Dornach entstanden ist. 1979 war das.
Dort ist uns noch ein Sch… passiert. Ich weiss nicht, ob es an der Aufregung lag oder am Alkohol vom Vorabend. Für die Marschmusik hatten wir zwei Märsche angegeben. Dann soll anscheinend per Lautsprecher angesagt worden sein, welchen wir spielen müssen. Aber in den hinteren Reihen haben wir das nicht mitbekommen. Plötzlich hiess es «Vorwärts, Marsch». Das gab ein Durcheinander! Nur die vorderen Reihen haben den richtigen Marsch gespielt. Dabei hatten wir ihn am Samstag auf dem Weg vom Eisenhammer zum Bahnhof noch gespielt trainingshalber. Das war das «Verrecktischte», was mir je passiert ist.
Was war der Höhepunkt in dieser langen Zeit, was bleibt dir in besonderer Erinnerung?
Das Luzerner Kantonale im Jahr 2000. Etwa acht Wochen vorher ist den Egerkingern ein B-Bassist abgesprungen. Ich wurde angefragt als Ersatz. Die spielten in der 1. Klasse Harmonie, also knapp unter der Höchstklasse. Ich wusste lange nicht, warum mich Röschu überhaupt nach Egerkingen geholt hat, denn die waren sackstark und hatten zwei sensationell gute Es-Bässe (Anmerkung: Roger Meier war Dirigent der Harmonie Gerlafingen und spielte im Blasorchester Egerkingen Klarinette). Irgendeinmal kam ich drauf, was ich eigentlich für eine Aufgabe hatte: Ich und ein zweiter B-Bassist mussten einfach dafür sorgen, dass keine Lücken entstehen, wenn die Es-Bassisten ihre Soli gespielt hatten und mal eine kurze Atempause benötigten. Das war mein musikalischer Höhepunkt. Und das Eidgenössische mit Gerlafingen in Aarau 1966 war auch sehr schön.
Du hast immer wieder auch in anderen Vereinen gespielt?
Ja, in Deitingen zum Beispiel. Die haben mir die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht viel dafür getan habe, aber ich war halt immer da, wenn sie mich brauchten. Oder… (blättert im Musikerpass) in Biel-Bözingen war ich auch, ab 1975, da habe ich sieben Jahre gemacht. Von der «Eintracht Grenchen» wurde ich angefragt, um am Eidgenössischen Musikfest 1976 in Biel zu helfen. Oder 1981 half ich der Brass Band Solothurn beim Eidgenössischen in Lausanne. Sie haben mich auch noch mitgenommen ans Weltmusikfestival in Kerkrade. Das war irrsinnig dieses Fest.
Du siehst, ich habe viele Möglichkeiten genutzt, um Musik zu machen. Ich habe auch jeweils an den Abschlussfeiern des kantonalen Kurswesens im Gesamtchor gespielt, so kam ich zum Übernamen «Der Kantonsbassist».
Welche Musik hast du am liebsten gespielt?
Hauptsächlich Marschmusik. Dieses Tschingderättebum gefällt mir. Obwohl ich ein schlechter Marschmusiker war, also beim Laufen, das konnte ich nie.
Warum nicht?
Weil ich ein Tschaupi-Cheib bin! Einmal am Musiktag in Zuchwil ist mir der Brechbühl Hämpu nachgesprungen und hat mich zurückgehalten: «Heh, wo geisch häre?!». Oder einmal an einem 1. August war ich Vizedirigent. Die Musikanten-Frauen, die kleine Kinder hatten, riefen aus: «Spinnsch, so schnell zu marschieren!». Die Kinder waren mit ihren Lampions 100 Meter hinter uns am Keuchen… (schmunzelt).
Du hast sicher noch viele Anekdoten auf Lager. Welche Frage soll ich dir zum Schluss stellen, worauf würdest du gerne noch antworten?
Ob ich mit der Konzertplanung einverstanden gewesen bin in den letzten Jahren (lacht). Da sage ich klar Nein. Warum? Früher haben wir öfter klassische Bearbeitungen gespielt. Beispielsweise die España Rhapsodie von Emmanuel Chabrier. Das war zwar zwei Stufen zu hoch für die Harmonie, aber wir haben es probiert. Oder auch die 1812 Ouvertüre von Tschaikowski. Sowas habe ich gerne gespielt. In den letzten Jahren hatte es für meinen Geschmack zu viel Modernes.
Anmerkung: Dieses Gespräch ist stark gekürzt worden. Urs Flück hätte noch viel mehr zu erzählen. Fragt ihn doch einfach mal!
Links zu Musik, die von Urs im Gespräch genannt wurde:
España Rhapsodie von Emmanuel Chabrier:
https://www.youtube.com/watch?v=VvlD7XYbI_U
Bacchanale aus Samson und Delilah von Camille Saint-Saëns:
https://www.youtube.com/watch?v=RcAGFgPCigw
I Know Why von Glenn Miller:
https://www.youtube.com/watch?v=-e2LXzNjYkw
Clarinet a la king von Benny Goodman:
https://www.youtube.com/watch?v=gSUbvvjIG8I
Petite Fleur von Hugo Strasser:
https://www.youtube.com/watch?v=jQ4FRDdJxcg
Der Dämon von Paul Huber:
https://www.youtube.com/watch?v=Tq8S0Gq-fFw
Le Roi d’Ys von Edouard Lalo:
https://www.youtube.com/watch?v=FnDxZsxHzdw
1812 Ouvertüre von Pjotr Iljitsch Tschaikowski:
https://www.youtube.com/watch?v=1KzF1KgaREo
Titanic von Stephan Jäggi:
https://www.youtube.com/watch?v=fXO5cJxpdjQ
Tell-Ouvertüre von Gioachino Rossini:
https://www.youtube.com/watch?v=P0qau_1CNxY
Sambre et Meuse von Robert Planquette:
https://www.youtube.com/watch?v=kGrj0UDX5CE
L’entente cordiale:
https://www.youtube.com/watch?v=a_8TBQ0ZzFY